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Philosophie (6): Francis Bacon (1561-1626)


Resume Klar, dass seit den Anfängen der Philosophie eine ganze Reihe von erkenntnistheoretischen Fragen erörtert wurden, die heute noch diskutiert werden. Unter anderem die Oppositionen Theorie/Praxis, Ratio/Empirie, Idealismus/Materialismus usw.

Im Zuge meiner Reise durch die Philosophie von der Antike bis zur Gegenwart bin ich nun auf Francis Bacon gestoßen, der mich besonders aufhält, weil er just die Fragen behandelt, die mich gerade interessieren. Die Zitate unten beziehen sich auf die Wissenschaft insgesamt (der Begriff „Philosophie“ umfasste zu diesem Zeitpunkt alle Wissenschaften).

Alle Texte entnommen aus: Ottfried Höffe, Klassiker der Philosophie, Band 1, Verlag C.H.Beck, 2008

1. Theorieüberschuss: „Philosophischen Schulen wie dem Aristotelismus oder dem Platonismus wirft Bacon vor, dass sie ihren Gegenstand theoretisch überformen. Die Natur, für Bacon der Ausgangspunkt aller Philosophie, werde dort nur aus der Perspektive bestimmter Theorien betrachtet, die in den jeweiligen Philosophien als grundlegend gelten. (…) Eine solche Naturphilosophie ist aber keine reine Naturphilosophie, sondern durch diese übergeorndenten Theorieinteressen ‚angesteckt und verdorben‘.“ S.241

2. Leere Begriffe: „Des weiteren sind viele der in der überlieferten Philosophie gebrauchten Begriffe leer oder unbestimmt. Sie bezeichnen etwas, das es nicht gibt, oder sie beziehen sich nicht eindeutig auf ihren Gegenstand, weil sie nicht im Ausgang von der Erfahrung gebildet wurden.“

3. Fallen des menschlichen Verstandes:

a) „(…) hat der Verstand die angeborene Neigung, in der Natur der Dinge immer nach Symmetrien und Korrespondenzen zu suchen, die es gar nicht gibt. Sein natürliches Streben nach Kohärenz verführt den Verstand außerdem dazu, beim Entwerfen von Hypothesen oder Theorien nur nach bestätigenden Belegen zu suchen und widerlegende Evidenzen nicht zu beachten.“

b) „So neigen Menschen zum Beispiel dazu, Einsichten, die sie für besonders wichtig halten, auch allem anderem, das sie verstehen wollen, zugrunde zu legen. Diese unzulässigen Verallgemeinerungen führen in der Wissenschaft meistens zu einer reduktionistischen Theorieform. (…) Andere Einseitigkeiten in der Intepretation von Daten ergeben sich für Bacon aus der Existenz unterschiedlicher wissenschaftlicher Typen, von denen die einen eine größere Aufmerksamkeit für Ähnlichkeiten und die anderen für die Unterschiede haben.“

c) „Als dritte Klasse nennt Bacon (…) diejenigen falschen Begriffe, die sich durch den täglichen Gebrauch der Umgangssprache und das Verwenden bestimmter Fachsprachen in den Verstand einschleichen. Diese (…) sind besonders lästig, da ‚die Menschen sich nämlich durch Sprache vergesellschaften‘ und insofern nur schwer auf ihren Gebrauch verzichten können.“

d) „Mit den ‚Idolen des Theaters‘ bezeichnet Bacon schließlich diejenigen falschen Begriffe, die sich aus der Rezeption philosophischer Theorien ergeben“.

4. Wissenschaft als Selbstzweck hat keinen Wert

„Bacon krisiert mit Nachdruck die Idee, dass Philosophie und Wissenschaften einen besonderen Wert dadurch erhalten, dass sie selbstzweckhaft betrieben werden. Ihre Aktivitäten müssen sich vielmehr am Nutzen und Wohlergehen der Menschen orientieren.

5. Falsifikationismus: Bacon Vorläufer von Popper

„Zudem sucht Bacon ausdrücklich nach widerlegenden Fällen und spricht sogar von der größeren ‚Macht des negativen Falls‘. Denn ein einzelner positiver Fall kann die Wahrheit einer allgemeinen Aussage nicht begründen, aber ein einzelner negativer Fall kann sie widerlegen.“

Fazit Mit Bacon sind wir mitten in der Diskussion! Praxis vs. Forschung? Beides zusammen!


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6 Antworten zu “Philosophie (6): Francis Bacon (1561-1626)”

  1. Philosophie und Wissenschaften dürfen „nicht selbstzweckhaft“ betrieben werden, sie „müssen sich vielmehr am Nutzen und Wohlergehen der Menschen orientieren.“
    Gut ist, dass Bacon damit sein Erkenntnisinteresse angibt. z.B. in der Vorrede zu seiner „Großen Erneuerung der Wissenschaften“ mit den Worten „zum Dienst und Nutzen für das Leben; in Liebe sollen sie es verbessern und leiten.“ Das klingt schon nach einem hippokratischen Eid für Wissenschaftler, der dann im Zusammenhang mit Atom- und Gentechnologie immer wieder gefordert wurde (und auch im Bereich der Hirnforschung ganz aktuell ist).
    Könnte damit aber nicht ein technologischer Fortschritt gemeint gewesen sein, der unsere Welt in die ökologische Krise geführt hat, d.h. in eine Situation, wo als reale Möglichkeit abzusehen ist, dass das Ökosystem schon in diesem Jahrhundert das Überleben von Menschen nicht mehr gestattet?
    Mit anderen Worten: War Bacons Fortschritt nicht nur ein technokratischer?

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  2. Ich danke für den Hinweis und stimme dir zu. Mir geht es aber vornehmlich um Ökologie.
    Die Kritik an der Aufklärung bedarf ihrerseits auch der Kritik, zu der ich hier aber nichts sagen will.

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  3. @apanat
    Bacon meinte mit „Wissen ist Macht“ tatsächlich Macht über die Natur und nicht Macht über Menschen. Allerdings hatte Natur zu diesem Zeitpunkt eine andere Bedeutung als heute und war nicht bedroht, zumindest nicht global. Dass Völker ihre Lebensgrundlage ruiniert haben, ist nichts Neues, beispielsweise die Osterinseln durch ungezügelten Rodungen. Aber das Problem in seinem ganzen Umfang wird erst seit der Globalisierung allen bewusst.

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