Jean-Pol Martins Blog

Gemeinsam Wissen konstruieren

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Spannagel, der digital-native Professor? Ja, aber… Ein Angebot.


1. Ausgangspunkt: ein bisschen gemeinsame Geschichte

Als ich auf die Plattform zur Vorbereitung des ersten Educamps in Ilmenau (April 2008) hingewiesen wurde, war ich voller Erwartungen: ich war gerade in einem heftigen Kampf um die  Prädizierung „lesenswert“ des Artikels „Lernen durch Lehren“ in der Wikipedia verwickelt und dachte, dass ich im Rahmen von Educamp genau die Leute finden würde, die Web20-fitt einsteigen. Ich sprach dich (und ein paar andere) auf der Educamp-Plattform an und machte euch den Vorschlag, um uns warmzulaufen, den „Lernen durch Lehren“-Artikel auf „lesenswert“ upgraden zu lassen.

Zu meiner Verblüffung teilten mir die meisten Angesprochenen mit, dass sie keine Erfahrung mit aktiver Mitarbeit in der Wikipedia hätten.

2. Digital devide: Wikipedia-Kultur vs. Twitter-Kultur?

Wikipedia-Kultur: Als ich 2004 von Wikipedia erfuhr, wusste ich: „Das wird einmal die einzige, weltweite Wissensquelle“. Aus anthropologischen und ökonomischen Gründen: warum das Wissen zerstreuen, wenn es weltweit an einem Ort sein kann (ökonomischer Grund) und warum sollen Menschen verstreut publizieren, wenn der einzige Wissensreservoire, auf den jeder zurückgreift, die Wikipedia ist (anthropologischer Grund)? Ab diesem Zeitpunkt war klar: das Wissen, das ich mit meiner Forschung erzeuge, werden ich in die Wikipedia einspeisen. Die Wikipedia ist der Ort, an dem das gesamte Weltwissen sichtbar für alle emergiert. Voller Freude verfasste ich einen theoretischen Artikel in diesem Sinne für die Wikipedia, der sofort verspottet und mit einem Löschantrag belegt wurde. So komisch es klingt: die Wikipedianer sind in der Regel sehr geprägt vom alten Paradigma und enorm um Seriosität bemüht. Alles, was ein bisschen spekulativ ist, hassen sie. Diese Haltung hat den großen Vorteil, dass die Wikipedia ein Hort der Stabilität und der Nachhaltigkeit ist. Hier wird Wissen konstruiert, und zwar extrem zielstrebig. Der in der Wikipedia herrschende Ton ist oft wehleidig, manchmal extrem brutal. In der Wikipedia habe ich viel auch für das reale Leben gelernt (ich gehe spielerisch um mit Aggressionen im realen Leben). In der Wikipedia wurde ich unermüdlich unterstützt von stabilen Partnern, jahrelang bis heute: Benutzer:GS, Benutzer:Ot, Benutzer:Cethegus sind beispiele, die mir spontan einfallen.

Twitter-Kultur:Ganz anders bei Twitter. Hier rennt man ständig von einem Ort zum anderen, gelegentlich kopflos. Hier sind eher Jäger und Sammler am Werk. Es werden Tonnen von Informationen hin- und hergeschoben, Wissensaggregate emergieren dann auch, aber das geduldige, nachhaltige Konstruieren an einem kleinen Wissensgebäude, wie es der Fall in der Wikipedia ist, fehlt. Bei Twitter ist im Gegensatz zur Wikipedia der Umgangston ausgesprochen freundlich!

Die Kombination bringt’s: wie bereits Claudius Konrad es vermerkte: wir brauchen alles. Twittern (Sammeln von Informationen), Wikis (erste Phase der kollektiven Wissenskonstruktion), Blogs (individuelle Wissenskonstruktion) und schließlich die Wikipedia als dynamisches Reservoire für Weltwissen.

3. Mein Angebot an Spannagel

Damit du endgültig zum digital-native-Prof wirst,  schlage ich dir vor, dass du die letzte Stufe, also die Wikipedia-Stufe erklimmst. Man lernt eine Menge dabei. Eine erste Übung wäre, dass wir gemeinsam meinen Artikel „Netzsensibilität„, der nach einer längeren Diskussion in der Wikipedia gelöscht wurde (Vorwurf: „Theoriefindung“), noch einmal einbringen. Wir müssen dann belegen, dass der Begriff anerkannt und etabliert ist (das wird nicht so leicht sein). Eine weitere Übung wäre, dass du selbst aus deinem Spezialgebiet einen Artikel verfasst une hochlädst (oder einen bereits bestehenden Artikel ergänzst). Auch nicht schelcht wäre, wenn es uns mit allen, die helfen wollen, meinen Artikel „Lernen durch Lehren“ als „lesenswert“ prädizieren lassen (das ist eine sehr harte Prüfung).

Und wenn du dich fragst (du wirst dich nicht fragen, soweit kenne ich dich schon) warum ich das alles hier kommuniziere, dann ist die Antwort ganz evident:

Du und ich sind „öffentliche Wissenschaftler„!:-)))


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51 Antworten zu “Spannagel, der digital-native Professor? Ja, aber… Ein Angebot.”

  1. nunja jetzt muss ich mich wohl einmischen, nachdem ich lange das phänomen wikipedia untersucht und auch darin kleine textpassagen publiziert habe ..

    ich habe damals bewusst abstand genommen, neue artikel aus meinem forschungsgebiet zu verfassen, denn wikipedia ist und bleibt ein lexikon – und ich bin so frei und behaupte dass neue forschungsergebnisse einfach eine zeit brauchen um in das „allgemeinwissen“ übergehen zu können …

    begriffe einzuführen und mit aller gewalt belegen (auch wenn sie durchaus berechtigt sind) halt ich für gefährlich, da laien diese noch nicht einordnen können und daher vielfach falsch anwenden …

    wikipedia ist und bleibt in meinen augen ein lexikon welches auf solider information stehen soll – meinungen, ideen, ansätze usw. haben dort noch nicht verloren (und würde ich auch rausnehmen) ..
    sprich zuerste forschen – konsolidieren – und ins allgemeinwissen überführen …
    und um ein digital-native prof zu werden (dieser begriff alleine ist schon höchst fragwürdig) denk ich mir gehören andere dinge in den vordergrund (zusammenhänge erkennen, methoden überprüfen und weitergeben) …

    sorry für den kritischen kommentar
    martin

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  2. wieso entschuldigst du dich für deinen „kritischen“ Kommentar? was du sagst ist doch nachvollziehbar und entspricht einer bestimmten Tendenz bei den Wikipedianern. Es gibt die exklusivisten, die deinen Standpunkt vertreten, und die inklusivisten, die der meinung sind, dass die Wikipedia ein neues Instrument ist, das auch zur wissenskonstruktion eigesetzt werden kann. ich gehöre zu ihnen (zugegeben, es ist die minderheitenposition). aus meiner sicht hat jedes zeitalter unterschiedliche denk- und wissenschaftliche instrumente. während die französische Enzyklopädie im 18.Jahrhundert zur Wahrheitsfindung und -verbreitung diente, wurde sie im 19. und 20. zur Wissenskonservation benutzt. heute haben wir das digitale zeitalter mit anderen Denkmodellen: schwarmdenken, spielerischer umgang mit Unschärfe und Fehlern, offenheit in richtung zukunft, und hier könnte die Wikipedia eine viel dynamischere rolle spielen, als die, die die meisten Wikipedianer ihr aus dem Denkmodell des vergangenen paradigmas aufzwingen wollen. Aber das ist meine haltung und meine position, wenn man so will eine art glaube!:-))))

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  3. gut dann gebe ich folgendes zu bedenken:
    wir werden brauchen auch stabilität in unserer informationsgesellschaft – sprich basiswissen oder allgemeingültiges ..

    wenn dies aber plötzlich mit dynamik, unschärfe usw. versehen wir, find ich das bedenklich …

    wir dürfen die denkweise von wissenschaftler generell nicht der allgemeinheit überstülpen – oder um auf das 18. jhd zurückzukommen, damals waren diese enzyklopädien nicht allen zugänglich 🙂

    also ich bin der idee nicht abgeneigt, aber man sollte überlegen WO sie platziert werden – mir kommt es momentan so vor, als wenn wir unsere artikeln in zeitungen veröffentlichen würden und ich glaub das wäre auch nicht gut, oder?

    lg

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  4. Ich will auf keinen fall die diskussion, die du mit mir führen willst, abwürgen. mein problem ist hier, dass die sache für mich schon längst geklärt ist. deine bedenken kann ich nachvollziehen, aber ich teile sie nicht. So beispielsweise: „wir brauchen…stalbies…allgemeingültiges wissen“: so etwas gibt es nicht, weil die Welt sich rasant verändert und wir rasant neues (vorübergehendes) problemlösewissen produzieren müssen. jeden tag! die zeit, abzuwarten, haben wir nicht. ich formuliere eine hypothese nach der anderen und prüfe sie auch gleich (popper-modell). wie spermatozoide: millionen werden geschickt, einer schafft es. wenn ich nur 10 abgesicherte und mit quellen belegte spermien schicke, werden sie das nicht schaffen!:-)))

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  5. Euer Disput lässt sich folgendermassen abstrachieren:

    Alte Denkweise: „Lieber auf 100% warten, als mit 50% schon produktiv sein.“ (Martin)

    Neue Denkweise: „Lieber mit 50% starten, als unproduktiv auf 100% warten.“ (Jean-Pol)

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  6. hi cko,

    dem stimme ich gar nicht zu …

    gegen was ich mich stemme in all diesen aussagen, ist dass wir als wissenschaftler verantworlich sind, solide wissenschaft zu betreiben – und ich sage es jetzt mal sehr, sehr provokativ:
    wenn einer von uns vielen etwas herausfindet, dann gehört dass überprüft, gegenhypothesen usw. gebildet und erst wenn sich das konsolidiert gehört es in etwas wie z.B. Wikipedia …

    öffentliche wissenschaft ist zu forcieren, kein zweifel (versuche ja selbst nichts anderes zu machen), aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu popularwissenschaftlern werden …

    wissenschaft ist in meinen augen HEUTE mehr „also nur spermien losschicken und einer wird es schaffen“ 🙂

    lg

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  7. solide wissenschaft verlangt, dass hypothesen generiert und verifiziert, bzw falsifiziert werden. in der heutigen welt ist der Gesamtprozess aber so beschleunigt worden, dass auch die zeitspanne von der Hypothese bis zur publikation der Forschungsergebnisse verkürzt werden soll. sogar die einhaltung einer klaren reihenfolge ist vielleicht nicht mehr sinnvoll. nehmen wir den begriff „netzsensibilität“, der zwar keiner Foschung entspricht, aber der als instrument sehr nützlich sein kann. wikipedia wartet, bis der begriff in der wissenschaft etabliert ist, bevor er aufgenommen wird. aber es wäre doch durchaus denkbar, dass der begriff bereits jetzt aufgenommen wird, weil er als Instrument für die beschreibung von phänomenen nützlich ist, und erst dann „karriere“ macht. also die wikipedia greift einen begriff auf, der von einem einzelnen „erfunden“ wird, und diffundiert diesen nützlichen begriff. ist was dagegen einzuwenden?

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  8. Hallo zusammen,

    erst mal: Vielen Dank, Jean-Pol, für die Bezeichnung „Digital-Native-Prof“ – die finde ich wirklich witzig (und eigentlich gar nicht fragwürdig). Sie ist nur eine „hippe“ Bezeichnung für das Konzept des öffentlichen Wissenschaftlers, der das Web als integralen Bestandteil seiner wissenschaftlichen Arbeit sieht (und nicht nur konsumierend, sonder aktiv partizipierend). Vielleicht sollte ich den Begriff „öffentlicher Wissenschaftler“ durch „Digital Native Prof“ ersetzen – einfach weils viel witziger ist. 🙂
    (Jaja, ich weiß, der Begriff „Digital Native“ ist in der Kritik usw. 🙂

    Ich habe die Diskussion hier mit großem Interesse verfolgt, insbesondere weil ich mir (vielleicht bis eben gerade) selbst nicht schlüssig war, ob man Wikipedia in der Art, die Jean-Pol vorschlägt, verwenden dürfen sollte. Weshalb „bis gerade eben“? Weil ich gerade eben die Diskussion gelesen habe, die zum Begriff „Netzsensibilität“ geführt wurde und jetzt „Asyl“ im ZUM-Wiki hat:
    http://wiki.zum.de/Diskussion:Netzsensibilit%C3%A4t
    Es ist sehr lohnenswert, diese Diskussion einmal zu lesen – mir hat sie bei der Bildung meiner Meinung zu diesem Thema sehr geholfen. Und hier… trommelwirbel… ist sie (meine Meinung):

    Ich teile die Meinung, dass nur solides Wissen in Wikipedia stehen sollte. Aber was genau ist das – solides Wissen? Und hier liegt – meiner Ansicht nach – ein erheblicher Fehler in der Einschätzung der Wikipedianer vor: Sie räumen dem traditionellen Wissenschaftsapparat (Journale usw.) die alleinige „Entscheidung“ darüber ein, ob ein Begriff „etabliert“ ist oder nicht. Dabei wird aber kaum unterschieden, ob der Begriff ein-, zwei- oder hundertmal irgendwo veröffentlicht wurde. Und im Zweifelsfall wird geschaut, wie viele Google-Hits es gibt. Es werden also echte Autoritäten befragt. 🙂 Der Gegenwind in Wikipedia kam übrigens, insofern ich das nachvollziehen kann, eher von Wikipedianern, die auf ihren Regeln bestehen, als von Fachkollegen. (Ich hoffe, ich trete jetzt niemandem auf den Schlips.)

    Gehen wir mal davon aus, dass ein Begriff in zwei, drei Artikeln veröffentlicht ist. Wie genau ist er da hineingekommen? Der Artikel wurde beim Editor des Journals eingereicht und dann an zwei Wissenschaftler weitergereicht. Jeder Wissenschaftler weiß, dass ein gewisses Maß an Zufall hierbei eine Rolle spielt: Gerät ein Artikel an die „falschen“ Kollegen, wird er eher abgelehnt, und gerät er an „wohlgesonnene“ Kollegen, wird er eher akzeptiert. Das ist natürlich nur eine Tendenz, ich will natürlich dem System nicht seine Funktionalität absprechen. Aber es sind eben nur zwei, drei Personen, die über den Artikel entscheiden. Und schon ist ein Begriff etabliert? (Bevor Gedanken aufkommen wie: „Jaja,der Spannagel, der hat bestimmt schon viele Artikel abgelehnt bekommen und kritisiert daher das System…“ – leider falsch. 🙂

    Nur mal gesetzt den Fall, ich stelle einen Begriff wie „Netzsensibilität“ in Wikipedia ein, im Rahmen einer Theorie und ordentlich beschrieben, von mir aus auch mit dem Hinweis „Begriffsvorschlag einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern“. Damit wird der Begriff nicht nur zwei Personen vorgelegt, sondern der gesamten wissenschaftlichen Community! Ein Begriff, der diesen Test besteht – das nenne ich mal etabliert!

    Ich finde den Begriff „Netzsensibilität“ sehr gut, und ich bin vom Fach. Ich würde jede Wette abschließen, dass es kein Problem ist, den Begriff „Netzsensibilität“ in einer Veröffentlichung unterzubringen. Muss ich aber den Affentanz wirklich erst machen und den Begriff in eine Veröffentlichung einbauen, damit auch andere Personen außer Jean-Pol diesen Begriff verwendet haben, damit ich ihn in Wikipedia wiederfinden kann? Müssen erst zwei meiner Fachkollegen drüberschauen? Oder darf ich mit Jean-Pol und potenziell allen (!) anderen Fachkollegen darüber im öffentlichen Raum diskutieren?

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  9. A propos: ich habe gerade eine Mail an Benutzer:GS geschickt, um ihn auf unser Projekt aufmerksam zu machen. Benutzer:GS ist Admin in der Wikipedia und aus meiner Sicht hochintelligent (intelligenter als ich, das sage ich ungern!).
    Das Problem ist: Benutzer:GS ist ein exklusionist. Er will die WP wissenschaftlich sauber halten. Er verfährt allerdings extrem korrekt und klug. Mal sehen ob und wie er reagiert!

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  10. naja auf der einen seite will ich hier jetzt nicht ewig diskutieren, aber ein mehr oder weniger schlusswort muss schon sein von meiner seite 🙂 …

    das gute ist dass ich eigentlich euch recht gebe, was die veröffentlchunge, publikationen usw. betrifft -> das ist unbefriedigend und gehört auf eine andere weise durchgeführt, kein zweifel — selbstverständlich gehören auch neue begriffe usw. diskutiert, abgewogen, verifiziert usw.

    ABER: warum im gottes namen gehört soetwas in die wikipedia, die das weltgrößte lexikon darstellt – warum denkt man nie darüber nach ein großes forschernetzwerk zu etablieren … mir hat es den anschein, weil es einfacher ist und gegen das verwehre ich mich …
    es ist zwar nett wenn viele personen mit mir auf wikipedia diskutieren, aber so nett es auch sein mag, was wir auch brauchen sind sichtweisen der im gebiet tätigen wissenschaftler ..

    UND noch brutaler: verwende ich in zukunft begriffe weil sie witzig und hype sind (seitenhieb über den digital-native prof)?

    ich verstehe mich selbst als öffentlicher wissenschaflter, betone aber nochmals dass die gefährlichkeit darin besteht popularwissenschaftlich zu werden 🙂

    over and out 🙂

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  11. Naja, also dann muss auch ein Schlusswort von mir sein. :-))

    Wikipedia muss deswegen sein, weil dort alle Wissenschaftler SIND. Ob offen oder „heimlich“ – jeder von uns greift auf Wikipedia zu, um sich zu informieren. Was nützt mir ein Forschernetzwerk, wenn dort niemand ist? Wenn wir JETZT handeln wollen, müssen wir an Orte gehen, an denen die Personen sind, mit denen wir kooperieren möchten.

    Klar verwende ich Begriffe, wenn sie witzig und hype sind – im passenden Kontext (wie beispielsweise hier im Blog-Kommentar). Warum? Weils dann einfach mehr Spaß macht, hier zu diskutieren. 🙂

    Aus die maus. 🙂

    @Martin: Wir müssen unbedingt mal irgendwann zusammen ein Bierchen trinken gehen! 🙂

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  12. Wieso ein Schlusswort? Die Diskussion geht doch erst los! Also: warum ist „Populärwissenschaft“ was Schlimmes? Wenn ich das Wort ernst nehme, heißt es „Wissenschaft“ und „populär“, also für das Volk. Und jede Wissenschaft, deren Akteure ja vom Volk bezahlt werden, muss populär sein. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie ich die traditionnelle Abschirmwissenschaft aus dem 19. und 20. Jahrhundert verachte! Hier geht uns Joachim Grzega mit seinem „Global Basic English“ voran. Er wird aufs heftigste von seinen traditionnellen Linguisten-Kollegen attakiert, dafür schwärmen alle anderen Menschen davon, weil es nützlich ist. Vor kurzem war ein Artikel im SPIEGEL über ihn!
    http://de.wikipedia.org/wiki/Joachim_Grzega

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  13. Ich freue mich über die Entwicklung in der Wissenschaft – Ich denke es ist an der Zeit neue Wege zu gehen. Neues Paradigma bedeutet auch die Kontrolle loszulassen und neue Formen der Wissensbildung zuzulassen. Ich brauche kein wissenschaftliches Gremium, was für mich entscheidet, was relevant ist…. Ich habe auch keine Angst davor, dass wir alle „verdummen“, wenn wir z.B. obigen Weg zulassen – Im Gegenteil: Transparenz und Offenheit wird zu höherer Qualität führen. Verschieben wir die Verantwortung nicht immer auf andere, in diesem Fall die Fachkommissionen. Ich verlasse mich gerne auf die „Weisheit der Vielen“.

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  14. Ich gehöre bei Wikipedia auch unbedingt zu den Inklusionisten. Wir sind aber in der Situation, dass Wikipedia in großem Umfang von ausgesprochen schlecht Informierten benutzt wird (für die ist so eine Enzyklopädie auch zu Recht gedacht). Da ist es schon wichtig, dass Pseudowissenschaft als solche gekennzeichnet wird (freilich wird in der WP auch manche ernsthafte Wissenschaft unter dem Label geführt) und dass neu eingeführte Begriffe deutlich von etablierten unterschieden werden (auch wenn der etablierte unbrauchbar und der neue zielführend sein sollte).
    Innerhalb der Wikipedia setze ich mich für Inklusionismus ein; aber dass die dortige Community einen gewissen Konservativismus behält, ist m.E. gar nicht so schlecht.

    Wenn Wissenschaftsblog stärker vernetzt werden, werden sie als solche auch in der WP nicht langfristig übergangen werden können.

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  15. Hallo,

    ich denke, wir sollten die Begriffe „pseudowissenschaftlich“ und „populärwissenschaftlich“ auseinanderhalten :-). Wenn man in Wikipedia 😉 nach „Pseudowissenschaft“ schaut, dann hat das m.E. nichts mit dem zu tun, was Jean-Pol hier vorschlägt:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Pseudowissenschaft
    Beispielsweise werden dort die Kriterien „systematische Abschottung gegenüber Widerlegung und Kritik, nicht rational gerechtfertigte Selektivität gegenüber empirischen Daten, Vertreten einer geschlossenen Alternative statt einer schrittweisen Erweiterung bisheriger Theoriebildung und Forschungspraxis“ für Pseudowissenschaft genannt – also eigentlich genau das Gegenteil von dem, was wir hier verfolgen, nämlich zum Beispiel das öffentliche Zur-Diskussion-Stellen von Theorien und Begriffen. Gegen eine Auszeichnung („neuer Begriff“; „Begriffsvorschlag“; „neue Theorie“) hätte ich nichts – das würde vielleicht sogar den ein oder anderen Wissenschaftler noch eher reizen, mitzumachen und sich damit auseinanderzusetzen.

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  16. Prinzipiell bin ich der Meinung, dass Theorie- und Wissensfindung in der Wikiversity ablaufen sollten, und gesichertes Wissen dann in die Wikipedia kommt. Freilich kann sich dieses zu einem bestimmten Zeitpunkt als gesichert geltende Wissen heutzutage schnell wieder ändern.

    Großes Problem: Für das Label “gesichert” gibt es wohl – wie Christian Spannagel schon festgestellt hat – keine wirklich ganz verlässlichen Kriterien. Publikationen in Peer-Review-Zeitschriften geben eine gewisse, aber keine absolute Garantie. Persönliche Erfahrung: ich kann mehr solcher Publikationen aufweisen als mancher älterer Kollege, aber die waren innovativen Ideen habe ich dort gerade nicht untergebracht. Ähnliches hat mir Professor Rademacher, einer der Väter der ökosozialen Marktwirtschaft, aus seinem Publikationsleben erzählt. Darüber hinaus brauchen solche Peer-Review-Prozesse manchmal eine Ewigkeit. Ich warte etwa seit 3 Jahren auf das Gutachter-Ergebnis zu einem Manuskript, das ich bei einer internationalen Zeitschrift eingereicht habe. Mittlerweile sind die Inhalte vollkommen überholt, weil das Projekt Basic Global English schon wieder 3 Stufen weiter ist. Außerdem wundere ich mich manchmal über die Ergebnisse solcher Review-Prozesse: ich habe selbst in Science und Nature schon sprachwissenschaftlichen Schrott oder Halbschrott gelesen.

    Die Kritik an “populärwissenschaftlich” ist eine typisch Deutsche. “Populärwissenschaftlich” heißt für mich im Wesentlichen “in Alltagssprache geschrieben”. “Populärwissenschaftlich” heißt für mich nicht “wissenschaftlich unsauber”. In diesem Sinne bin ich ein Verfechter der Populärwissenschaft. Ich bin sogar der Ansicht, dass ein Wissenschaftler gegenüber der Gesellschaft, die ihn ja schließlich über Steuergelder zahlt, die Verpflichtung hat, Forschungsergebnisse auch allgemein zugänglich (heißt: allgemein verständlich) zu machen. Ich halte ernsthaft mein für ein breites Publikum verfasstes Buch “EuroLinguistischer Parcours” (ELP) für wichtiger als meine Dissertation. Ich habe im ELP versucht, 1. Bekanntes allgemein verständlich zusammenzufassen, 2. neue Erkenntnisse allgemein verständlich darzustellen, 3. allzu Theoretisches und Detailhaftes für die Wissenschaftlerkollegen in Fußnoten zu packen. (Hoffentlich hat die große Selbstreferenzialität hier jetzt nicht gestört).

    Joachim Grzega

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  17. Eine höchst interessante Diskussion die hier stattfindet. Um meine negativste Äußerung gleich zu Beginn loszuwerden: Den Titel „Digital Native Prof.“ würde ich persönlich scharf zurückweisen. Die Gründe kann man hier in meinem Statement dazu nachlesen.

    Jetzt zu den sehr, sehr positiven Dingen. Ich bin begeistert, was sich hier für eine Diskussion ergeben hat. Ein offen ausgetragener Disput, das mach die Sache lebendig, das zeigt das Engagement der Menschen hinter all dem was im Netz passiert. Und das ist gut, damit man sich immer wieder bewußt wird, das das Netz von uns allen „gemacht“ wird.

    Durch die Wikipedia-Feuertaufe bin ich auch gegangen. Es ist wie eine Art Stammesritual, das meist mit ein wenig (oft unbegründetem) Schrecken und Angst verbunden ist, das aber überwunden werden muss. Hinterher fühlt man sich dazugehörig und man versteht, warum das Ritual so gestaltet ist und nicht anders.

    Ich habe eine ganze Menge in extrem kurzer Zeit gelernt, als ich an einem Wikipedia-Beitrag mitbearbeitet habe. Vor allem, dass man sich hineinversetzen sollte in die Ansprüche der gesamten Welt an den eigenen Beitrag. Es geht nicht darum das eigene Ego mit einem Beitrag zu „pimpen“. Es geht darum nachhaltigen und relevanten Mehrwert zu schaffen, der auf einem stabilen Fundament steht.

    Wikipedia ist vor allem eines: Ein Lexikon. Ein Lexikon ist ewas vollkommen anderes, wie ein Disput im Kommentarbereich eines Blogs zum Beispiel. Ein Lexikon ist aus meiner sicht die Übereinkunft für einen bestimmten Zeitraum eine bis dahin gewachsene „Wahrheit“ festzuhalten.

    Natürlich entwickelt sich die Welt weiter, aber wir werfen auch nicht alle von heute auf morgen alle unsere sozialen Werte weg, nur weil sich die Welt immer schneller nur noch um Geld dreht. Das wäre ja schrecklich.

    Eine Stabilität, wenn auch nur vorübergehend, entsteht durch die Übereinkunft auf etwa, von dem man für eine Zeit lang Gültigkeit erwartet. Wird die Gültigkeit torpediert, ja, dann muss man sie eben überprüfen. Und genau darin ist Wikipedia dann sehr schnell, denn Änderungen die näher an der Popper’schen Wahrheit sind werden eben nicht gelöscht, sondern übernommen, und verteidigt!

    Es gibt nicht die „Wikipedianer“, das stört mich sehr, das dieser Begriff verwendet wurde. Wikipedia ist sehr sehr heterogen. Jedoch sind alle die beständig darin mitarbeiten durch mehrere Rituale einer völlig eigenen, virtuellen, sozialen Organisation gegangen. Und das unterscheidet sie von anderen Netznutzern.

    @Alexander: Auf die „Weisheit der Vielen“ würde ich nicht unbedingt bauen. Das ist vermutlich eines der größten Mißverständnisse wenn es um Wikipedia geht. Es handelt sich nämlich eher um die gebündelte Weisheit vieler hochspezialisierter Experten. Es sind nicht die „Vielen“, die Wikipedia gestalten, nur ca. 1% der Nutzer der Wikipedia schreibt auch daran mit. Es sind vielmehr absolute Spezialisten auf ihren Gebieten, die dort agieren. Deshalb ist es auch so schwer ein Bein an die Erde zu bekommen, wenn man neu einsteigt. Die Leute da sind einfach nicht die „Dumme Masse“, sondern oftmals sehr kluge, vielleicht auch schwierige Leute, aber sehr oft absolute Experten auf ihrem Gebiet.

    Bin gespannt wie die Diskussion weitergeht…
    Gruß vom Frühstückstisch, Helge

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  18. @Helge Deine Argumente sind absolut nachzuvollziehen. Ein paar entgegnende Gedanken dazu hier:

    Du schreibst, dass Wikipedia ein Lexikon sei. Wenn man in Wikipedia unter „Lexikon“ nachschlägt, dann liest man, dass ein Lexikon ein Wörterbuch ist. Vermutlich trifft das nicht ganz, denn genau genommen ist Wikipedia eine Enzyklopädie. Schlägt man diesen Begriff in Wikipedia nach, findet man nirgendwo den Hinweis darauf, dass das Wissen „stabil“ oder „über einen bestimmten Zeitraum gewachsen“ sein muss. Es wird vielmehr von „Totalität“ und „Universalität“ gesprochen. Das heißt, es wird der Anspruch erhoben, das gesamte (!) Wissen der Menschheit zu erfassen.

    Bisherige Enzyklopädien, sprich Buch-Enzyklopädien, hatten ein Platz-Problem: Es musste sorgfältig ausgewählt werden, was dort drin stehen darf und was nicht. Wikipedia ist nun in der großartigen Situation, kein Platzproblem zu haben. Und dies merkt man auch an den Inhalten: Jede popelige Punk-Band, jeder Fußballspieler, sämtliche Schauspieler usw. haben ihre eigene Seite in Wikipedia (auch hier gibt es Kriterien, ich weiß – aber die Grenzen sind durchaus diskussionswürdig). Gehören die 505 Punkbands, die man in Wikipedia finden kann, zum stabilen Wissen der Menschheit? Oder die Liste der Fußballspieler samt Ligaspielen, Ligatoren usw. des TSG 1899 Hoffenheim? Wenn man schaut, was alles in Wikipedia steht, dann dürfte klar sein: Es geht nicht um Stabilität oder um über einen langen Zeitraum gewachsenes Wissen, sondern um Totalität. Jeder Furz (sorry 🙂 wird in Wikipedia erfasst.

    Ich möchte das jetzt nicht als Argument aufgefasst sehen, dass alles ungeprüft in Wikipedia stehen sollte – das Konzept sieht ja gerade die Prüfung durch jeden vor. Ich habe auch überhaupt nichts dagegen, dass ich in Wikipedia nachlesen kann, im DFB-Pokal der Frauen 2001/2002 der SV Victoria Gersten gegen den Halleschen FC 3:2 in der ersten Runde gespielt hat – es stört nicht. Wenn es aber um Begriffe geht, die in der wissenschaftlichen Diskussion auftauchen, wird genau hingeschaut. Meiner Ansicht nach hätte eine Information wie „Jean-Pol Martin verwendete im Jahr XYZ den Begriff Netzsensibilität zum ersten Mal in einer Veröffentlichung“ einen ähnlichen Charakter wie „Sein Debüt in der 2. Bundesliga gab er am 3. September 2007 auswärts bei der 3:2-Niederlage beim SC Freiburg.“ (steht auf der Seite von Demba Ba).

    Daher: Wenn ein Begriff in wissenschaftlichen Diskussionen verwendet wird, dann sollte er auch in Wikipedia stehen dürfen. Von mir aus in irgendeiner Weise ausgezeichnet („kein etablierter Begriff, steht aber in der Diskussion“) oder ähnliches. Diskussionen dazu können ja dann auf der entsprechenden Diskussionsseite geführt werden. Alles offen und transparent, niemandem wird „falsches Wissen“ untergejubelt. Aber bitte: Muss so etwas gelöscht werden?

    PS: Natürlich ist der Begriff „digital native“ nicht ernstzunehmen. Wie gesagt: Es klingt einfach nur witzig – und ich laufe jetzt auch nicht durch die Lande und erzähle, ich sei „digital native juniorprof“ oder sowas. Es war einfach nur witzig – von daher besteht kein Grund, das „scharf zurückzuweisen“. ;-))) Auch der Begriff „Wikipedianer“ braucht dich eigentlich nicht zu stören. Man findet ihn sogar in Wikipedia, und zwar im Artikel zu „Wikipedia“. :-))

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  19. Mir gefällt das, mit dem populärwissenschaftlichen Gedanken, dass es (fast) eine Pflicht der Wissenschaft wäre, den Bürgern ihre Forschung und das daraus resultierende Wissen verständlich darzulegen. Natürlich ist mir auch klar, dass nicht alle hoch komplexen Themen in einfache Worte gekleidet werden können – viele Themen aber schon!
    Schon allein die Diskussion um „richtiges“ und „falsches“ Wissen macht mir deutlich, da stimmt etwas nicht – was ist so falsch daran etwas auf dem jetzigen Stand des Wissens zu veröffentlichen? Herr Grzega wartet seit 3 Jahren… dann wird es offiziell gemacht und ist schon überholt… ist das der Weg?
    Ich denke es wäre an der Zeit zu überlegen, wie wir in heutiger Zeit mit „offiziellem Wissen“ verfahren wollen – wenn wir im alten Paradigma denken, dann wird das gesicherte Wissen immer um Jahre der Zeit hinterher sein – das kennen wir schon, macht das Sinn? Ich habe keine Lösung für das Problem, außer vielleicht der, neue Wege auszuprobieren. Wie ich hier und an anderen Stellen wahrnehme, fehlt es doch nicht an „hellwachen“ Menschen, welche die neuen Prozesse mitverfolgen und in den Diskurs gehen.

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  20. @Christian: Danke für die fixe Antwort. Ich verstehe ja zum Teil Deinen durchklingenden Groll auf die Wikipedia. Hmm, ja z.B. das mit „jedem Furz“… ich meine, das kommt halt immer darauf an. Für viele Leute ist diese Information absolut wichtig. Das kann man wohl nur als Fußballfan nachvollziehen, aber na ja, da gibt es sicher eine Menge Fußballexperten, die ganz exakt darauf achten, dass da kein falsches Tor drinsteht.

    Ich habe von dem Begriff „Netzsensibilität“ hier das allererste Mal gehört. Was ist das? Ich meine ich kenne die „Net Neutrality“-Diskussion aber was „Netzsensibilität“ ist weiß ich nicht. Gibt es denn da eine Quelle? Ich würde mit dem Begriff spontan die „Empfindlichkeit des Verhaltens einer Netzinfrastruktur bei externen Veränderungen“ assoziieren, aber das wird es wohl kaum sein, oder?

    Ich google mal eben… 😉
    …okay, also mehr oder weniger ist nach Jean-Pol die „Aufmerksamkeit“ bzw. „Attention to connection-attempts […]“ zwischen Netzteilnehmern gemeint, oder?

    Das finde ich interessant. Thomas Bernhardt spricht ja z.B. auch vom „Connactive Web“ in seinem Blog. Ich kann der Nervenzellenmetapher die Jean-Pol verwendet viel abgewinnen. Das passt z.B. auch prima auf die Funktionsphasen einer Zelle wie z.B. die „Refraktärphase“. Das ist die Zeit, die vergeht, bis eine Nervenzelle wieder „feuern“ kann. Ganz ähnlich ist das ja mit Blogposts und Blogkommentaren. Die brauchen auch eine gewisse Zeit bis die geschrieben wurden.

    Vielleicht gibt es für diese „Netzsensibilität“ ja noch eine bessere Metapher, z.B. aus der Chemie, da gibt es doch bei Molekülen auch die unterschiedliche Bindungsfreudigkeit… just an idea. Ich weiß nicht, das Netz ist ja in dem Sinne gar nicht der sensibel reagierende Part, sondern es geht um den Menschen, oder? Könnte der Begriff das dann nicht widerspiegeln?

    Die Diskussion um immigrant/native möchte ich persönlich auch nicht mehr weiter führen. Ich finde, dass man den Begriff sehr ernst nehmen muss, weil Sprache das Denken der Menschen beeinflusst/verändert (Beispiel: Friedenstruppen, Achse des Bösen, Rettungspaket, Ministerium für Frieden) – irgendwann ist halt zwei plus zwei dann fünf. Viele scheinen es wie Du „lustig“, „cool“, „hip“, „youngster-like“ und irgendwie „toll“ oder besonders „2.0-ig“ zu finden. Steht ja auch jedem frei den Begriff zu verwenden wie er mag, schließlich ist Sprache ein Kulturprodukt (siehe simsen, googeln, chillen, usw.).

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  21. @Alexander: Ich finde es ist an der Zeit, dass man aufhört Forderungen an Wikipedia zu stellen. Warum kehrt man nicht erstmal vor der eigen Türe, Alexander? Ich meine das Netz bietet Milliarden Möglichkeiten sein halbgares Wissen unter die Leute zu bringen – und diese werden ja auch rege genutzt. Wie wäre es z.B. mit Google Knol, da kann einem keiner reinreden und man darf auch noch Werbung daneben schalten. Ich verstehe die Aufregung nicht.

    Ganz ehrlich, ich möchte kein Auto von BMW, in dem die Sicherheitssysteme auf dem halbgaren Wissen von nur einem „Airbag-Experten“ basieren, der meint, er habe eine nagelneue Lösung gefunden die Dinger zum halben Preis zu bauen. Der Witz ist doch, das viele Konstrukte unserer Kultur (z.B. sicherer Straßenverkehr) aufeinander aufbauen, wenn da die Basis nicht zumindest mal von ein, zwei Leuten gegengecheckt wurde, dann baut man eventuell vollkommen auf Sand und richtet großen Schaden an. Möchtest Du, dass die Mediziner ihre neuen Arzneimittel ohne weitere, fremde Prüfung auf den Markt bringen?

    Der Vergleich hinkt auch kein bisschen, denn auch im Wissensbusiness kann großer Schaden angerichtet werden, wenn Begriffe und Aussagen ungeprüft zur handlungsleitenden Maxime werden (ich sag nur „Lernstile“ oder „visuelle Lerntypen“ oder „Multitaskingfähigkeit des Gehirns“).

    Ich finde auch, dass Wissenschaftler mit einfachen Worten erklären können sollten, was sie tun. Die Kommunikation mit dem Rest der Gesellschaft finde ich extrem wichtig.

    Das gute ist ja, dass der Mensch oft sehr genau weiß, was er nicht weiß, auch ein Wissenschaftler. Wenn ich also genau weiß, dass meine Vermutung zwar irgendwie aus dem Bauch heraus richtig ist, aber niemand anderes das nachvollziehen kann, sollte man sich dann auf dieses Bauchgefühl verlassen (z.B. bei so Dingen wie Airbags und Arzneien)?

    Oft sind es genau diese Bauchgefühle, die die Wissenschaft weiterbringen, es wird dann aber versucht das Ganze anhand von Fragestellungen zu überprüfen.

    Was verstehst Du unter dem alten Paradigma?

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  22. Altes Paradigma ist für mich z.B. die Kontrolle haben wollen, alte Strukturen aufrecht erhalten wollen, unabhängig davon, ob sie funktionieren oder nicht, Machterhalt, für „uns“ entscheiden, was Richtig oder Falsch ist (aus pers. Interessen), Anspruch auf Wahrhaftigkeit (z.B. in der Wissenschaft) usw.

    Zu den Beispielen mit Airbag, oder den Arzneimitteln: Es geht doch nicht darum hoch komplexe, fachliche Gebiete mit Laien, oder Halbwissen diskutieren zu müssen und evtl. dadurch den Menschen zu gefährden (Explosion des Airbags usw.) – es geht vielmehr darum Wissen transparent und verständlich darzustellen:

    z.B. Genmanipulation (Auswirkungen auf Ökosystem), Wirtschaftswissenschaft (Finanzkrise), Arzneimittel usw., damit wir Menschen – wissend – darüber entscheiden können in welche Richtung es gehen soll… (Manipulation um Macht zu erhalten, würde dann natürlich sehr viel schwieriger)

    Wenn wir über ALLE (positive, sowie negative) Auswirkungen dieser „Errungenschaften“ informiert wären, dann könnten wir uns ein viel umfassenderes Bild machen und wären somit wesentlich besser in der Lage die Auswirkungen zu beurteilen…. und entsprechend zu Handeln.

    Was Wissen, wie „Netzsensibilität“ anbetrifft, da sehe ich kein Problem, dieses als derzeitigen Stand einer Theorie in der Wikipedia zu veröffentlichen – was wäre hier so „schlimm“ daran?

    Ich stelle keine Forderungen an die Wikipedia – das ist nur meine Meinung dazu. Natürlich kann man Wissen, Halbwissen, eben (fast) alles irgendwo veröffentlichen.

    Ich stelle nur zur Diskussion, ob es nicht auch möglich ist, neue Ideen, die noch nicht „abgesegnet“ sind, hier zur Diskussion zu stellen und die Menschen – da wo es machbar ist (s.o.) – selbst entscheiden zu lassen, was sie von der Theorie halten…. Bei Netzsensibilität kann ich keine Gefahren erkennen….

    Könnte das nicht auch etwas im Denken und der Übernahme von Verantwortung beim Einzelnen bewirken?

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  23. Erst einmal mein ganz großes Kompliment an Helge für seinen schönen Einsteigerbericht als Wikipedianeuling! Habe ich gleich auf meinem Blog verlinkt.
    @Helge: Deine positive Sicht der Ansprüche, die die Wikipedia – offiziell – an ihre Autoren stellt, ist wohl den Leuten zu danken, auf die du da gestoßen bist.
    Es gibt bei der Wikipedia in der Tat einige Mitarbeiter, die extrem (!) leistungsfähig sind, ganz ohne Titel. Aber ein Großteil der Administratoren ist eher systemerfahren als nur annähernd auf deinem Niveau. Wenn man eine Zeit lang allein einen Artikel gegen Unsinn zu verteidigen hat, weil die zu Hilfe gerufenen Historiker sich als unzuständig erklärten, sieht man die Sache skeptischer hinsichtlich der Qualität. Nicht nur die Wikipedianer sind alles andere als homogen, sondern auch die Wikipedia.
    Da ich das Potential von Wikis lieben gelernt habe, bedauere ich es, dass sich die Wikipedia gegenwärtig manchem verschließt.
    Aber wenn man bedenkt, wie sehr sie sich seit ihrem Entstehen gewandelt hat, darf man mit Frank Schulenburg hoffen, dass sie sich auch auf die Bedürfnisse von Wissenschaftlern einstellen wird.

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  24. Boh wie spannend! Toll! Klasse! (echt gemeint) – Soviel gute Argumente hab ich in so kurzem Zusammenhang selten gelesen und auch zwischen den Zeilen 100% Überzeugung. Das gefällt mir.

    Zum eigentlichen Thema noch eine Idee: In meinem Metier wird Wissen (oder was man dafür hält) immer gerne verkauft. Damit ein anderer nicht das große Geld macht, wird gerne das Wissen auf einen Begriff gebracht und „geschützt“. Trademark oder Warenzeichen oder wie die Formen alle heißen und man braucht einen guten spezialisierten Anwalt, damit auch alles sein rechte Form hat und man seine Interessen (Geld, Berühmtheit usw.) auch durchsetzen kann. Ich muss das nicht unbedingt lang ausführen, ihr versteht schon was da abgeht. Ich meine, es gibt ja genug Patentforscher, gell?

    Also ist steht doch die Frage im Raum, ob man wissenschaftserkennistheoretische Neuigkeiten auf eine Netten Begriff bringt und auch gleich in die Rolle eintragen lässt. Dann kann man viel entspannter die das Marketing durch einschlägige Medien verfolgen und WP gehört ja auch dazu. Schließlich hebt WP das Google-Ranking nachweislich an. Und darum gehts ja auch immer … populär zu werden. Oh ich vergaß, es gibt ja auch heute noch die Geheimwissenschaften oder Auftragswissenschaften – klar das ist natürlich auch ein Argument … aber dafür lässt man sich ja auch gut bezahlen 😉

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  25. @itari
    Ja, Itari, du hast wirklich gute Ideen. Es würde ein bisschen bequemer sein, wenn du – wie ich – ganz transparent erscheinen würdest, aber jeder hat seine kleinen Manien. Auf jeden Fall bin ich so beschäftigt, neue Idenn zu generieren und zu verbreiten, dass ich nie Patente anmelden konnte/wollte (übrigens auch nicht für LdL, das uns am Anfang immer wieder „geklaut“ wurde – wenn du willst kann ich dir ein paar Beispiele geben, die einen richtigen Outing-Charakter einnehmen). Und jetzt zum Eigentlichen: was schlägst du konkret vor?

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  26. Vorschlag: Setzt mal eine Agentur (Marketing plus entsprechender Anwalt plus Marken-Recherche) dran und lass mal testen, ob die Begrifflichkeiten sich schützen lassen und wenn ja: wie. Dann eintragen lassen und dann durch die Agentur verbreiten lassen. Dabei wirst staunen, wie die was platzieren bis hin zum WP-Eintrag. Damit du dann die Kohle auch für den Spaß hast, lass den Anwalt mal richtig gut abmahnen bei allen Plagies. Dass macht überall Freude *gg* und man wird dadurch berühmt …

    Das Wissen über solches Vorgehen ist übrigens leider nicht während des allgemeinen Studiums zu erhalten. Leider. Warum eigentlich? Muss mich laufend mit solchen Nasen rumschlagen, die irgendeinen akademischen Abschluss haben und dann zum Proggi umgeschult werden und keine Ahnung vom Urheberrecht haben. Software lebt ja von der Kenntnis, was darf ich wo abschreiben 😉

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  27. @itari
    Danke für den Vorschlag. An sowas habe ich natürlich nie gedacht. Aber bekannt bin ich schon und ich habe auch genug geld zum leben. Auf jeden fall freue ich mich, dass du dich so nett und motivierend hier einbringst!

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  28. Und was hat Patentieren und Schützen mit dem neuen Paradigma zu tun? Es geht doch genau darum eben nicht die alten Muster zu leben, oder habe ich das falsch verstanden?

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  29. @Alexander
    Ja, das neue Paradigma hatte ich natürlich auch als argument im Hintergrund. Aber ich wollte itari, die/der sich wirklich hier super einbringt, nicht brüskieren!:-))

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  30. Mir geht es nicht um Brüskieren oder…, einfach nur darum, den Unterschied herauszustellen. In der Übergangsphase muss man/frau eben manchmal auf etwas verzichten, damit später etwas „größeres“ entstehen kann ;-)) -Teile und genieße!

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  31. @Alexander
    Ja, genau so ist es: mir geht es tatsächlich nicht um das Schützen sondern auf das Verbreiten, auch wenn ich scheinbar nichts Materielles davon habe. Ich möchte was „Großes“ in meinem Leben machen, und materielle Güter sind nichts „Großes“.-)))

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  32. Oh – ich hab mich nicht genügend ausgedrückt in meinem Beispiel.

    Bild: Alle Programmierer haben früher ihre Arbeit damit begonnen, zu untersuchen, was sie als INPUT haben bevor sie sich daran setzten den OUTPUT zu erzeugen (INPUT->PROCESSING->OUTPUT ist als Modell klar???). Das ist natürlich eine nette Methode, aber eigentlich immer mit dem Risiko verbunden, auch Ergebnisse zu erhalten, die man eigentlich nicht wollte oder die so nebenher entstanden sind. Einer meiner Lieblingsprofs (ob er wirklich Prof war, weiß ich gar nicht – bei den Franzis ist das ja immer alles anders) vertrat nun eine Methode, die genau umgekehrt an die Sache heranging: Untersuch den OUTPUT, dann mach dir Gedanken dazu, welchen INPUT du brauchst und dann schreib dein Programm. Dies ist als Warnier-Methode bekannt. Ich habe das dann auch in good old Germany geschult, aber die meisten waren zu blöd dafür, die Triebkraft dieses Modells zu erkennen. Aber das Prinzip ist eigentlich sehr zielführend und wenn ich als Projekt-Coach irgendwo mitmische, dann lös ich damit eigentlich immer den G-Knoten.

    Zurück zum Schützen von Gedanken. Wenn ich was schützen will, dann ja vor der „wilden“ Verbreitung. Also kann ich am besten Verbreitung (und ihre Mechanik) verstehen, wenn ich so tu, als würde ich was schützen wollen. Ich mache mir also keine Gedanken darüber, wie verbreite ich was, sondern ich tu so als wäre die Verbreitung passiert und ich untersuch, wie es dazu gekommen ist. Mit dem ‚Schutz‘ per Agentur, das war nur ein Beispiel, mal zu testen, wie andere meine Gedanken bewerten und was sie damit veranstalten würden. Ich hätte auch andere Beispiele nehmen können. Der Witz ist halt, das Pferd von hinten aufzuzäumen, weil daran eben keiner denkt. Groschen bzw. um dem „neuen“ Paradigma zu folgen: Cent gefallen?

    Wie lerne ich am besten eine Firewall zu bauen, in dem ich angreife. Wie am besten einen Virenscanner, indem ich Viren schreibe … reicht das? Wie kann ich mich vor Hexenwerk schützen, indem ich eine Hexe werde *gg* – das war wohl wieder mal zuviel. Mensch JP, wenn ich keine Hexe wäre, würden wir hier nicht miteinander so locker reden und das ist es allemal Wert, denn du bist in meinen Augen auch ein ‚Großer‘.

    @alex … nehm gerne dein Geld/Gold/Geschmeide/Rösser/Königreiche/Elfenbeintürmen und kauf mir davon einen neuen Hexenkessel. Ist schon spannend, dass mit den Türmen, wo die bloß ihren Namen herhaben? Wo doch keiner außer mir offensichtlich an Elfen ernsthaft glaubt, gibts reichlich Leut darin … guck einfach mal WP, die habens auch beschrieben.

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  33. Zu deiner Berschreiung des outputs analysieren und dann input rekonstruieren (oder so ungefähr): so verfahre ich natürlich auch selsbt bei meiner Forschung: im Unterricht theoriegeleitetes trial and error und bei Erfolg analysieren, warum es dazu kam. Ich habe schrittweise LdL entwickelt, indem ich nach Erfolgen theoretisch versuchte, die erfolge zu erklären. In letzter zeit verstehe ich theoretisch noch schärfer, warum ich mit LdL mehr Erfolg habe als mit frontalmethoden: weil das grundbedürfnis nach informationsverarbeitung mit LdL besser als mit anderen methoden befriedigt wird. Aufrund dieser Erkenntnis überlege ich (schritt in die praxis), wie ich das Bedürfnis nach Informationsverarbeitung noch besser befriedigen kann und komme auf die idee, dies mit dem Computterraum zu erreichen. Dann werde ich gucken, was genau passiert und das ganze theoretisch aufarbeiten, usw. (Popper-Forschungsmodell des kritischen Rationalismus).

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  34. […] An verschiedenen Stellen habe ich meine Partner auf den hohen Lerngewinn hingewiesen, den man durch das Editieren eines neuen Artikels in der Wikipedia erzielen kann. Die Wikipedia-Kultur ist eine ganz besondere, harte, an die man sich gewöhnen muss. Ich bin immer überrascht, wie wenig unsere Web2.0-Experten mit der Wikipedia-Welt vertraut sind. In meinen Augen ist jemand, der sich im virtuellen Raum bewegt und nicht durch die Wikipedia-Schule gegangen ist, kein Web2.0 Experte. Ich zitiere jemanden, der sich inzwischen auf einem guten Weg befindet, nämlich Thomas Bernhardt: “Ich bin gestern mehr oder weniger ungewollt ins kalte “Wikipedia-Wasser” gestoßen worden, fand die Erfahrung aber ungemein lehrreich! So viel, wie ich gestern in 8 Stunden über die Wikipedia lernte, habe ich davor in zwei Jahren nicht.” Die Wikipedia-Kompetenz halte ich deshalb für so wichtig, weil ich der Überzeugung bin, dass in mittelbarer Zukunft jeder Wissenschaftler versuchen muss, sein Wissen in die Wikipedia, die Weltenzyklopädie, einzuspeisen. […]

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