Jean-Pol Martins Blog

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Vernunft -> Erkenntnis -> Tugend -> Glück


Resume Ich halte mal fest, was mir bei meinem philosophischen Durchzieher auffällt.

Bei den meisten antiken Denkern bis einschließlich Boetius verläuft der Weg zum Glück nach folgendem Muster:

1. Wollen wir glücklich sein, müssen wir tugendhaft, also im Einklang mit der Natur leben. Um deren Prinzipien zu erkennen müssen wir die Realität richtig erfassen und dafür unsere Vernunft einsetzen.

2. Was bedeute aber Vernunft? Wie lässt sie sich erreichen? Bei Aristoteles ist sie für den Menschen konstitutiv. Menschsein bedeutet vernünftig sein.

3. Wollen wir unsere Vernunft einsetzen, um das Weltprinzip zu verstehen, so sind wir auf unseren Erkenntnisapparat angewiesen. Leider aber täuschen uns unsere Sinne: was wir von der Realität wahrnehmen ist nicht die Wahrheit. Das verlangt von unserem Gehirn hohe Adaptationsleistungen. Wie funktioniert unser Denken? Aristoteles versucht unsere Denkinstrumente zu beschreiben, die Art und Weise wie wir die Realität wahrnehmen und wie wir unsere Erfahrung kognitiv verarbeiten (z.B. mit Hilfe von Kategorien).

4. Das versuchen später auch u.a. Francis Bacon, Descartes und Kant.

Fazit Auf das Leben appliziert bedeutet es a) die Realität der Umgebung besser erfassen (hinter die Kulissen schauen), damit die Vernunft ein qualitativ besseres Material erhält, um b) die anstehenden Probleme zu lösen und Zufriedenheit zu erreichen.


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14 Antworten zu “Vernunft -> Erkenntnis -> Tugend -> Glück”

  1. Genau, was ist Vernunft? Manche Leute stürzen sich ja ganz „unvernüftig“ an Gummiseilen hängend irgendwelche Brücken runter und scheinen auch ganz glücklich dabei zu sein 🙂

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  2. @Oliver
    Bist du sicher, dass diese Leute sich ganz unvernünftig hinunterstürzen? In Dokumentationen über solche Aktionen wird immer betont, wie professionell die Vorbereitung ist…

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  3. In Enn. I 4 [46] führt Plotin die Definition der Tugend als Vervollkommnung der Vernunft ein. Diese Definition passt gut zu einem ,funktionalen‘ Begriff der Tugend, wonach die Tugend eines Wesens in der optimalen Ausführung seiner
    spezifischen Funktion besteht. Das griechische Wort ἀρετή, welches traditionell mit ‚Tugend‘ übersetzt wird, bezeichnet generell die Tauglichkeit für eine bestimmte Funktion (ἔργον). Daher kann man auch von der Tugend des Messers
    sprechen, insofern es gut schneidet. Überträgt man den Begriff der Tugend auf den Menschen, kommt man zu dem Ergebnis, dass die Tugend des Menschen in der vorzüglichen Ausführung seiner Funktion besteht. Hier kommt es darauf an,
    was die Funktion des Menschen ist. Nun erblickt Plotin die spezifische Funktion des Menschen in der Tätigkeit der Vernunft. Daraus ergibt sich, dass die Tugend des Menschen im funktionalen Optimum der Vernunft besteht.
    Bungeejumper und Motoradraser haben einen an der Waffel und Plotin würde sie Taugenichtse nennen.

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  4. @Oliver
    Als Anhaltspunkt parke ich hier einfach mal die Definition aus der Wikipedia:

    Sowohl umgangssprachlich als auch in der Geschichte der Philosophie hat die Bezeichnung „Vernunft“ mehrere Bedeutungen, die sich aber überschneiden. Zum einen wird sie als die Grundlage für Erkenntnis und Erkenntnisgewinn betrachtet. Sie schafft die Voraussetzung für Erkenntnis, indem sie eine Systematik und einen Bezugsrahmen für Wissen vorgibt. Von der Vernunft unterschieden wird gewöhnlich der Verstand als Erkenntnisvermögen oder als das Zusammenwirken vieler verschiedener kognitiver Fähigkeiten. Zum anderen wird Vernunft in der Bedeutung von vernünftigem Handeln verwendet. In diesem Sinn begründet Vernunft eine normative, philosophische Ethik, die keine Berufung auf andere Instanzen eingesteht. Sie findet sich zum Beispiel bei Aristoteles als das rechte Maß oder bei Immanuel Kant als der kategorische Imperativ. In seiner Universalgeschichte beschreibt Voltaire eine stetige Entwicklung der Menschheit von primitiver Barbarei zur Vorherrschaft der Vernunft. Schließlich wird Vernunft in der Bedeutung von „einer höheren Ordnung gemäß“ verwendet. Diese Sichtweise trägt meistens die Züge einer religiösen Überzeugung, und auch im deutschen Idealismus ist die Vernunft das „Denken Gottes“. Der Mensch und die ganze Menschheit hat im Idealismus Anteil an dieser Vernunft, aber sie vollzieht sich eher an ihm, als dass er einen Einfluss darauf hat. Auch ohne einen traditionellen religiösen Bezug sind noch heute viele Menschen überzeugt, in der Welt einer höheren Vernunft der Schöpfung zu begegnen (vgl. Intelligent Design). Physiker wie Erwin Schrödinger waren von der Existenz einer übernatürlichen, vernünftigen Ordnung überzeugt.

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  5. Lieber Jean-Pol,

    „Einklang mit der Natur“ scheint unter metaphysisch-rationaler Sichtweise etwas zu sein, was außerhalb des Menschlichen liegt. Dies ist aus meiner physistisch geprägten Sicht eine Behauptung, die zur Annahme eines „Dinges an sich“ bzw. zum Streben nach Erkenntnis von Objektivität und zur Konstruktion bzw. Theorien eines „Erkenntnisapparates“ führt. Dieser Weg wird seit Jahrhunderten in der Metaphysik erfolglos beschritten. Inzwischen sprechen noch mehr Forschungsergebnisse naturwissenschaftlicher Humanwissenschaftler als zu Zeiten Lockes, Humes, Ulrichs und Lossius, gegen die Thesen Bacons, Descartes und Kant.

    Unter physistischer Sicht bedeutet für mich „im Einklang mit der Natur leben“: den Prinzipien meines Körpers folgen. Natur ist aus physistischer Sicht stets „meine eigene Natur“. Meine Sensoren sorgen für unterschiedlich intensive Empfindungen bzw. Vorstellungen meiner Natur und dürften initiieren, was ich tue und wie ich reflektiere. (Hume hat diesen Sachverhalt m.E. mit „impressions“ und „ideas“ thematisiert.) Mehr (empfinden) sensorieren als das, was meine eigene Natur hervorbringt, geht aus meiner Sicht nicht. Die „(Er)kenntnisse“, die sich so ergeben, dürften immer nur „meine (Er)kenntnisse“ sein, unabhängig davon wie gleichgerichtet auch immer kulturelle Weltbilder uns sehend machen. Sich ganz auf die eigene Sichtweise einzulassen, scheint mir die einzige Möglichkeit zu sein, reflektierend und handelnd Authentizität zu erreichen.

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  6. ich sehe das wie du. Aber der Wunsch und die Bereitschaft, durch intensive Wahrnehmung der Aussenwelt und die Suche nach Prinzipien, die der Welt insgesamt innewohnen und sie steuern, foerdert die Wachsamkeit. Auch wenn es eine Illusion ist, nach einer „Weltvernunft“ zu suchen und wenn die Erkenntns nur über das Verstaendnis der eigenen Natur erfolgen kann, so führt zumindest die damit verbundene Anstrengung zu einer erhoeten Sensibilisierung für Phaenomene des Lebens überhaupt, seien sie in der Aussenwelt oder in der innenwelt.

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  7. M. E. ist ‚wachsam’ eine natürliche, phylogenetisch und ontogenetisch gewachsene Verhaltensweise meiner peripheren und internen Sensoren. Mein Körper – d.h. aus physistisch geprägter Sicht: meine Person – ist darauf bedacht, möglichst optimal zu funktionieren. Dazu gehören auch Bedürfnisse wie Hunger, Durst, Gesundheit … zu stillen. Körperliche Empfindungen signalisieren diese Bedürfnisse und lösen entsprechendes Verhalten aus.
    Dass Menschen dazu angehalten werden müssen, wachsam, aufmerksam, konzentriert zu sein, scheint mir eine Folge eines ganz bestimmten, traditionell erwarteten Verhaltens zu sein. Möglicherweise zu Zeiten Augustins Thagaste entstanden, als Lehrer mit ihren Schülern Texte und Inhalte memorierten, die ihnen eine erfolgreiche Karriere in der Verwaltung des damaligen Weltreiches garantierten. Die negative Reaktion von Schülern damals und vieler, die nach ihnen kamen, ist geschichtlich verbürgt und macht die Krux der Schulen unserer Gegenwart aus.
    Mein Resümee: Die Aufforderung wachsam bzw. aufmerksam zu sein, wird als Zumutung empfunden. Möglicherweise, weil sie sich gegen die menschliche Natur richtet. Außerdem könnte sie unerfüllbar sein. Dafür spricht nach meinen jahrzehntelangen Beobachtungen viel. Kurz und gut: Aus physistisch geprägter Sicht ist ‚Intentionalität’ ein Mythos, der den schuldig macht, der sich anders, natürlich verhält bzw. nicht erfolgreich ist. Für mich entspringt „die Suche nach Prinzipien, die der Welt insgesamt innewohnen“ einem religiösen Bedürfnis, das Philosophieren beeinträchtigt. Physistisches Philosophieren geht ausschließlich vom Menschen aus. Mir zeigt sich ‚Welt’, als meine Welt und ich kann lediglich zwischen ‚mein’ und ‚dein’ unterscheiden. Wobei ‚deine Welt’ mir genauso unzugänglich ist, wie jede andere, die nicht meine ist. Meine Welt kann ich kennen lernen. Die Aufforderung andere Welten zu entdecken, dürfte u.a. Camus’ Sysiphos hervorbringen.

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  8. Ich verstehe deine Hypothesen. Für meinen Teil halte ich es für weiterführend, im Rahmen von philosophischen Workshops und Kursen das Interesse für Konstruktionen anderer Menschen (z.B. Wiedergeburt, Paradies, Nirwana), sowie für beobachtbare Phänomene in der Natur zu erhöhen. Und mir entspricht eher ein offenes Vorgehen und die Hoffnung, dass ich auch die Welt der anderen, wenn auch nicht ganz, doch in Teilaspekte verstehen kann. Der Versuch lohnt sich – aus meiner Sicht – auf jeden Fall.

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  9. Aus meiner Sicht eine Entscheidung, die darauf hinweisen kann, dass die aufgeklärte Vernunft Wunschträumen nachjagt.

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  10. Wunschträume sind Menschenträume und gehören auch zur menschlichen Natur. Wer sich für die menschliche Natur interessiert, interessiert sich auch für ihre Wunschträume.

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